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Autor Thema: Wer ist Werner Glogauer?  (Gelesen 8095 mal)
Amoebe
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Splatterpunk


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« am: 27. April 2003, 15:45:00 »

Hi habe hier das Interview des Medienpädagogen Werner Glogauer.
Ein echter Hammer

Gruß Amoebe

Reuß: Herzlich willkommen, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, bei Alpha-Forum. Zu Gast ist heute Professor Dr. Werner Glogauer, Schulpädagoge, Didaktiker und Medienwissenschaftler. Herzlich willkommen, Herr Professor Glogauer.  
Glogauer: Guten Tag.  
Reuß: Sie haben sich seit vielen Jahren und Jahrzehnten mit den Medien und auch mit der Wirkung von Medien beschäftigt. Sind Sie auch eine Art von Medienpädagoge? Kann man das sagen und wenn ja, was macht denn ein Medienpädagoge?  
Glogauer: Ich bin Medienpädagoge, weil ich von der Pädagogik herkomme und die Bedeutung dieses Bereichs der Pädagogik schon recht bald erkannt habe. Was macht ein Medienpädagoge? Der beschäftigt sich natürlich mit verschiedenen Bereichen, die eigentlich auch zur Pädagogik gehören: nämlich mit der Medienerziehung. Aber er beschäftigt sich auch mit einem anderen wichtigen Bereich: der Mediendidaktik. Das ist die Wissenschaft vom Einsatz und von der Verwendung von Medien im Lehr- und Lernprozess. Das ist also ein Bereich, der in der Pädagogik insgesamt immer bedeutsamer geworden ist.  
Reuß: Sie haben ein Stichwort schon erwähnt, die Medienerziehung. Ein anderes Stichwort, das in diesem Zusammenhang immer genannt wird, ist die so genannte Medienkompetenz. Was versteht Sie denn unter Medienkompetenz?  
Glogauer: Ich muss sagen, dass ich diesen Begriff als etwas zu hoch angesetzt betrachte. Das ist vor allem dann der Fall, wenn er immer wieder für die Medienerziehung im Bereich der Kinder und Jugendlichen verwendet wird. Vor allem wenn es um die praktische Realisierung dieser medienerzieherischen Ansprüche geht, sollten wir das, was man medienerzieherisch konkret tun kann, genauer benennen. Aufgrund auch meiner eigenen Forschungsergebnisse besteht das ganz wesentlich darin, dass man eine präventive Freizeiterziehung betreibt. Wir haben z. B. bei den Untersuchungen zu den Videofilmen - zum Konsum und zur Wirkung von Videofilmen - festgestellt, dass diejenigen Kinder und Jugendlichen, die die Freizeitaktivitäten, die z. B. von den Sportvereinen angeboten werden, auch ausnützen, bei weitem nicht so viele Videofilme anschauen wie die anderen Kinder und Jugendlichen, die solche sinnvollen Freizeitbeschäftigungen nicht ausgebildet haben. Das ist natürlich in erster Linie ein Appell an die Eltern. Es gibt darüber hinaus noch einen weiteren Bereich, der von der Medienpädagogik sehr stark betont wird: Das ist die aktive Medienerziehung. Die Kinder sollen dabei angeleitet werden, selbst Medien zu produzieren. Sie sollen lernen, mit den Medien umzugehen. Es gibt da z. B. Videofilmgruppen: Da geht man beim Naturkundeunterricht z. B. in die Natur hinaus und nimmt Dinge auf, die auch Gegenstand dieses Unterrichts sind.
Reuß: Wer bestimmt eigentlich, was für uns, also für die Mediennutzer, wirklich gut ist? Brauchen wir nicht alle ab und zu neben der Anspannung im Beruf oder in der Schule auch ein wenig Entspannung? Müssen wir nicht auch manchmal zur reinen Entspannung einen spannenden Krimi sehen, einen unterhaltsamen Spielfilm? Ist daher nicht auch das Seichte ab und zu notwendig?  
Glogauer: Das ist ganz klar so. Wir kennen ja die Situation von vielen Menschen, die heute gestresst von der Arbeit nach Hause kommen und sich nicht mehr fordern lassen wollen. Sie wollen sich entspannen, und da sind natürlich die Medien - ich möchte hier wirklich alle Medien nennen - ein ganz passabler Weg.  
Reuß: Wie nutzen Sie eigentlich selbst die Medien?  
Glogauer: Ich schaue mir z. B. sehr gerne Sportsendungen an, weil ich selbst von Jugend an aktiver Sportler gewesen bin. Als Medienpädagoge und Medienwissenschaftler muss ich natürlich auch sehr viele andere Dinge ansehen: auch Dinge, die ich mir ansonsten nicht ansehen würde. Ich schaue mir z. B. sehr viel Werbung an. Das hängt zum Teil auch mit den jeweiligen Forschungsprojekten zusammen. Ich habe jetzt die Werbung bereits genannt: Wir haben einmal eine Untersuchung über die Wahrnehmung und Wirkung von Werbefernsehen gemacht. Da muss man dann in diesem Bereich schon auch selbst zu Hause sein, das ist ganz klar.  
Reuß: Die Sozialisation des Menschen wurde früher von der Familie, von der Kirche, von der Schule oder anderen sozialen Gruppen geprägt. Heute hat man aber den Eindruck, dass durch die immer stärkere Bedeutung der Medien diese Gruppen zunehmend ihren prägenden Charakter verlieren. Ersetzen die Medien die anderen sozialen Gruppen tatsächlich zunehmend in der Sozialisationsfunktion?  
Glogauer: Das ist eine ganz wichtige Frage. Es gibt da schon Prozesse, die diese Verschiebung zeigen: und zwar sehr stark zeigen. Das sind allerdings Prozesse, die mehr unter der Decke vor sich gegangen sind. Wir können doch davon ausgehen, dass die wichtigsten Einflüsse auf Kinder und Jugendliche in der Erziehung und Bildung eigentlich doch immer von naturgegebenen Grundlagen bereitgestellt worden sind: Das war eben insgesamt die Natur. Eine weitere wichtige Grundlage der Einflüsse wurde vom sozialen Umfeld gestellt: von der Familie usw. Die dritte Komponente stellte selbstverständlich die jeweilige Kultur dieser Gesellschaft bzw. dieses Gesellschaftsbereichs dar. Heute stellt man jedoch bedauerlicherweise fest, dass z. B. der Einfluss der Eltern und der Erziehungsberechtigten insgesamt abnimmt: Die Vorbildfunktion der Eltern, der Lehrer, der Priester, der Meister usw. ist ganz stark zurückgegangen. Man hat gerade in den letzten Jahren auf diesem Gebiet ja Untersuchungen gemacht, die das bestätigt haben. Diese Vorbildgruppen machen heute nur noch einige Prozent aus: An der Spitze stehen dabei heute die Leute aus den Medien, vom Film, vom Fernsehen, aus der Mode usw. Dieser Befund ist so eindeutig, dass man das eigentlich bedauern muss: Die Vorbildfunktion der Menschen im nahen sozialen Umfeld ist so gut wie aufgehoben worden.  
Reuß: Ich würde hier, wenn Sie erlauben, gerne einen kleinen Schnitt machen, denn wir werden danach zur Wirkungsforschung noch einmal ausführlich zurückkommen. Ich würde Sie nun unseren Zuschauern gerne als Mensch etwas näher vorstellen. Sie kommen ursprünglich aus Schlesien und sind nach dem Krieg in Kehlheim aufgewachsen. Wie sind Sie aufgewachsen? Wie war Ihre Kindheit?  
Glogauer: Ich habe, insgesamt gesehen, eigentlich eine sehr positive Kindheit gehabt. Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, und so war in meiner Kindheit die Begegnung mit der Natur äußerst wichtig. Wenn man früher ein paar Schritte aus dem Haus gemacht hat - und das hat sich im Vergleich zu heute doch sehr stark verändert -, dann war man bereits in der Natur. Da gab es Wasser, da gab es Wiesen, und der Wald war auch nicht weit. Es gab unbegrenzte und unbehinderte Möglichkeiten, sich da auszubreiten und auszubilden. Das ist für die gesamte geistige, motorische und sinnliche Entwicklung doch ungeheuer wichtig. Wenn man den Vergleich mit heute zieht, dann muss man sagen, dass unsere heutigen Kinder und Jugendlichen dagegen klar benachteiligt sind. Sie haben diese Freiräume nicht mehr, sie müssen sie sich teilweise erst erkämpfen. Bei mir zu Hause wird z. B. auf der Straße Eishockey gespielt. Wenn da dann die Tore aufgestellt werden, gibt das natürlich Schwierigkeiten mit dem Verkehr usw. Ich bedauere diese Kinder und Jugendlichen, die sich ihre Freiräume, um ihrem Spieldrang nachkommen zu können, praktisch immer erst erkämpfen müssen.  
Reuß: Sie haben nach dem Krieg die Lehrerbildungsanstalt in Straubing besucht und dort beide Staatsexamina abgelegt. Warum wollten Sie Lehrer werden?  
Glogauer: Ich wollte irgendeinen pädagogischen Beruf erlernen, und der Lehrerberuf hat sich deshalb angeboten, weil es damals eine sehr starke Nachfrage nach diesem Beruf gegeben hat. Die Chancen in diesem Beruf waren also sehr groß. Es gab damals sogar die Möglichkeit, dass Frauen und Männer mit der Mittleren Reife in einer Kurzausbildung von ein oder zwei Jahren einen Abschluss auf diesem Gebiet machen konnten und dann früher oder später als Lehrer auch verbeamtet wurden.  
Reuß: Sie haben anschließend Pädagogik, Psychologie und Literatur studiert und auch promoviert. Die Promotion hatte das Thema: "Vorbilder und Leitbilder des Films im Jugendalter." War Ihre Promotion schon ein Hinweis auf Ihre spätere Affinität zum Thema Medien?  
Glogauer: Das ist richtig. Ich habe bereits damals zusammen mit anderen Kollegen Medien produziert, weil ein Lehrmittelmangel herrschte. Die Affinität war also von vornherein vorhanden. Es kam dann auch eine Phase, in der ich an Schulbüchern mitgearbeitet habe. Zusammen mit anderen Kollegen habe ich Schulbüchern herausgegeben und war als Schulbuchautor tätig. Vielleicht erinnern sich noch manche an dieses Buch aus dem Erdkundeunterricht "Fahr mit in die Welt": Dieses Buch gehörte z. B. mit dazu. Ich habe darüber hinaus auch an dem Buch "Wir erleben die Geschichte" mitgemacht. Dieses Buch war nicht nur in Deutschland ein sehr großer Erfolg, sondern auch in Österreich und in der Schweiz sehr weit verbreitet. Dabei haben wir versucht, einen neuen Typ von Schulbuch zu machen. Es sollte gerade kein Buch sein, das alles vorgibt. Stattdessen sollte das ein Buch sein, aus dem sich die Kinder auf der Grundlage vieler Arbeitsgrundlagen möglichst viel selbst erarbeiten können. Das hing natürlich auch mit unterrichtsmethodischen Entwicklungen zusammen. Solche Unterrichtsformen wie Partnerarbeit oder Gruppenunterricht sind damals im Rahmen der Schulreform ja immer beliebter geworden. Man hat die Notwendigkeit immer mehr eingesehen, solche modernen Unterrichtsformen zu realisieren.  
Reuß: Sie haben auch in einem Institut mitgearbeitet, das Ihr Doktorvater Professor Keilacker mitgegründet hat: Das war das "Institut für Jugendfilmfragen" und, wenn man so will, der Vorläufer des heute bekannten Instituts "Jugend Film Fernsehen". Was hat Sie damals an den Medien fasziniert? Das war damals im Wesentlichen ja noch nicht das Fernsehen, sondern eher der Film: Worin bestand da für Sie das Faszinosum?  
Glogauer: Das kam eigentlich aufgrund des Angebots und der Voraussicht meines Doktorvaters Professor Dr. Martin Keilacker zustande. Er hatte damals den Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie inne. Er hat zusammen mit seiner Frau diesen Bereich auch entdeckt und weit in die Zukunft geschaut. Bereits damals hat er medienpädagogische Themen in Seminaren usw. angeboten. So hat er eigentlich einen Stamm von Medienpädagogen herangezogen. Das gab es zwar noch nicht als Hauptfach, aber viele haben sich als Lehrer - ich war damals ja Lehrer, als ich studiert habe, und bereits hier in München tätig - dafür zusätzlich zu ihren psychologischen oder pädagogischen Studien interessiert.  
Reuß: 1962 wurden Sie an die Pädagogische Hochschule in Augsburg berufen. Worin lag der Schwerpunkt Ihrer Arbeit?  
Glogauer: Der Schwerpunkt, und so hieß es damals auch in der Berufung, lag in der Allgemeinen Didaktik. Das war der Vorläufer der Schulpädagogik. Darüber hinaus hatte ich mich mit der Didaktik der deutschen Sprache und Literatur zu befassen. Damals sind ja insgesamt an den Pädagogischen Hochschulen in Deutschland diese Didaktiken eingeführt worden. Das stand natürlich in engem Zusammenhang mit der Schulreform und den ganzen inneren schulischen Reformen. Die Didaktik selbst hat ja eine sehr lange Tradition. Ich darf hier vielleicht einmal Amos Comenius erwähnen, diesen großen europäischen Didaktiker. Er hat im Bereich der Didaktik für das gesamte Abendland das grundlegende Werk "Didactica magna" geschrieben. Er hat auch schon damals eine hervorragende Definition der Didaktik gefunden. Er spricht nämlich davon, dass die Didaktik die Wissenschaft sei, allen alles zu lehren. Wenn man sich eine moderne Definition der Didaktik ansieht, dann merkt man, wie viel von dieser seiner alten Definition noch darin steckt.  
Reuß: Sie haben sich ja auch intensiv mit der Frage des Lernens und Lehrens mit den Medien beschäftigt. Auf die heutige Zeit übertragen interessiert mich, wie gut sich insbesondere die elektronischen Medien für das Lehren und das Lernen eignen.  
Glogauer: Sie würden sich gut eignen, aber man muss dabei eben immer auf die didaktisch-methodische Qualität achten. Wenn ich mir z. B. die Lehrprogramme für den Computer ansehe, dann stelle ich fest, dass es da doch manches nachzuholen gilt. So weit zumindest mein Einblick in dieses Gebiet reicht, liegt das ganz einfach daran, dass solche Programme nicht mehr so sehr von Didaktikern und Methodikern gemacht werden, sondern von Fachleuten auch aus dem Bereich der Unterrichtstechnologie. Das müsste sich aber meiner Meinung nach schon noch stark verbessern. Natürlich sind diese Dinge an sich auch begrenzt. Wir haben das damals gleich zu Beginn des Schulfernsehens schon ausprobiert. Bayern hat damals ja damit angefangen: mit solchen Sendung wie "Hopfen aus der Hallertau". Die erste Schulfernsehsendung zum Deutschunterricht überhaupt stammte aus dem Aufsatzunterricht und hatte den Titel "Und das Ende der Geschichte?" Da wurde die Geschichte eines Zirkushundes gezeigt - eigentlich sehr nett gemacht -, um dann an einer bestimmten Stelle der Geschichte abzubrechen. Der Auftrag an die Kinder lautete dann, diese Geschichte schriftlich weiter zu erzählen. Daraus ist dann ja auch dieses Buch zur Lerneffizienz des Schulfernsehens entstanden. Ich glaube aber, dass das Schulfernsehen in der Gegenwart leider an Bedeutung verloren hat.  
Reuß: Diese Bedeutung wird es hoffentlich wieder gewinnen: alleine schon durch die Existenz dieses Bildungskanals.  
Glogauer: Ich würde das begrüßen.  
Reuß: Die Bedeutung der Medien nimmt ja permanent zu. Ich will einmal bei unserem Medium bleiben, beim Fernsehen: Die Medienforschung sagt, dass jeder Bundesdeutsche im Jahr 1999 im Durchschnitt rund 198 Minuten pro Tag ferngesehen hat. Das entspricht etwas 1200 Stunden im Jahr. Wenn man das aneinander reiht, dann sind das in etwa 50 Tage pro Jahr. Das ist doch mehr, als wir in der Regel Urlaub haben. Warum hat das Fernsehen diese große Bedeutung gewonnen?  
Glogauer: Dafür gibt es natürlich verschiedene Ursachen und Gründe. Einen Grund habe ich vorhin schon angesprochen: Das sind diese beschränkten Freizeitmöglichkeiten im Freien. Das muss man wirklich sehr bedauern. Denn für die gesamte geistige, motorische und sinnliche Entwicklung entstehen dadurch für die Kinder große Nachteile. Wenn immer mehr ferngesehen wird oder wenn immer mehr Computerspiele gespielt werden, dann wird ja auch kaum noch gelesen. Die Tatsache, dass das Lesen seit ungefähr zwei, drei Jahrzehnten sehr stark rückläufig ist, wird ja auch von der Wirtschaft sehr bedauert, weil man diesen Mangel im Hinblick auf die Schreib- und Lesefertigkeiten am Arbeitsplatz sehr konkret beobachten kann.  
Reuß: Aus den USA gibt es eine Aufsehen erregende Untersuchung an 3000 Kindern zwischen drei und fünf Jahren. Gemäß dieser Studie war das Fernsehen für 44 Prozent aller Kinder beliebter als der eigene Vater und für immerhin noch 20 Prozent aller Kinder beliebter als die eigene Mutter. Was macht diese emotionale Bindung an dieses technische Gerät namens Fernseher aus?  
Glogauer: Sie haben den richtigen Begriff gewählt, denn es ist tatsächlich ein emotionales Verhältnis. Die Kinder und teilweise noch die Jugendlichen bis zu 14 Jahren entwickeln z. B. zu den Figuren aus den Action-Zeichentrickserien emotionale Beziehungen: Diese Figuren sind sehr attraktiv für sie, damit kann der Vater, der müde von der Arbeit kommt und ziemlich abgeschlagen den eigenen Sohn oder die eigene Tochter erlebt, nicht konkurrieren. Aufgrund der medialen Darstellung sind diese Figuren für die Kinder ganz einfach attraktiver. Da ist wiederum ein Grund dafür, warum die Vorbildfunktion der Eltern zurückgegangen ist.  
Reuß: Die Wirkung der Medien wird ja sehr häufig negativ beschrieben: zur gesamten Gewaltdebatte werden wir sicherlich gleich noch kommen. Wenn es jedoch so ist, wenn es also bestimmte negative Reiz-Reaktions-Muster gibt, dann müsste doch auch der Umkehrschluss gelten: Demgemäß könnten dann die Medien auch sehr positiv wirken. Wie müssten also die Medieninhalte gestaltet werden, damit sie diese Attraktivität haben und gleichzeitig positiv wirken?  
Glogauer: Das, was Sie im zweiten Teil Ihrer Frage gesagt haben, muss man in der Tat unterstreichen. Diese Potenz der Medien zu einer solchen Wirkung gibt es selbstverständlich. Aber wir erleben ja vor allem bei den elektronischen Medien, dass dort mehr das Negative, mehr die Gewalt und die Katastrophen und mehr das Negative unseres menschlichen Lebens und unserer Kultur gezeigt werden. Das wäre schon ein großes Anliegen, bei dem natürlich alle zusammenarbeiten müssten: Es sollten mehr pro-soziale Inhalte, wenn ich das einmal auf diesen Nenner bringen darf, in den Medien gezeigt werden.  
Reuß: Nun gibt es ja durchaus Versuche in der Richtung, denn es gibt Serien, die millionenfach gesehen werden und die wie z. B. die "Lindenstraße" versuchen, in einem einzigen Haus alle Alltagsprobleme zu fokussieren, die man sich vorstellen kann. Wie beurteilen Sie denn die Wirkung solcher Serien?
Glogauer: Die Wirkung ist ja ganz offensichtlich groß. Denn diese und auch andere analoge Serien sind ja so angelegt, dass sich möglichst viele Zuschauer darin wiedererkennen können: die täglichen Probleme, die sie haben usw. Aber auch hier beginnt ja schon die Fiktionalität: Das ist ja nicht wirklich die Realität, sondern das ist eine fiktive Welt. Ich möchte nicht sagen, dass schon bei diesen Serien gewisse Gefahren bestehen, aber wenn man zu den rein fiktiven Darstellungen übergeht, dann kann man sehen, auf welche Weise diese Gefahren beginnen: Das gilt vor allem für die Action-Zeichentrickserien und Action-Serien. Diese fiktiven Geschichten und auch diese virtuellen Welten der Computerspiele haben eine ungeheure Anziehungskraft für Kinder und Jugendliche.  
Reuß: Ich darf einmal eine ein wenig provokante Frage stellen: Wenn man sich mit der Wirkungsforschung ein bisschen auseinander setzt, dann hat man den Eindruck, dass es da doch sehr viel Widersprüchliches gibt. Die einen sagen, die Medien hätten gar keine Wirkung. Die anderen sagen, die Medien würden vorhandene Prädispositionen verstärken. Wieder andere sagen sogar, dass z. B. bestimmte Gewaltdarstellungen auch die Wirkung einer Katharsis hätten, dass sie also eine reinigende, eine aggressionshemmende Wirkung hätten. Wieder andere sagen, dass die Medien auch zu Nachahmungseffekten führen können. Was gilt denn nun?  
Glogauer: Das, was Sie angesprochen haben, hat als Hintergrund ganz einfach verschiedene Wirkungstheorien. Das alles sind ja zunächst einmal nur Annahmen. Diese Annahmen werden heutzutage aber häufig bereits als Ergebnis verstanden. Dieser Irrtum ist immer wieder festzustellen. Zu den positiven Wirkungen kann ich nur sagen, dass man das einmal ganz konsequent durchdenken sollte: Gäbe es keine negativen Wirkungen, dann gäbe es ja auch keine positiven. Diese Wirkungen gibt es natürlich: Ich als Mediendidaktiker weiß das und muss ja den Lehrerinnen und Lehrern auch vermitteln können, was sie an positiven Effekten erzielen können, wenn sie die Medien didaktisch-unterrichtsmethodisch einsetzen. Medien eignen sich z. B. ganz hervorragend dazu, dass man einen Einstieg in ein Thema finden kann. Kinder und Jugendliche kann man mit den Medien dazu motivieren, sich mit einem bestimmten Thema zu beschäftigen. Es gibt also schon viele positive Dinge. Es kann mit den Medien z. B. auch der Lernerfolg gesteigert werden. Wir hatten in Augsburg z. B. ein Zentrum für "programmierte Unterweisung". Unter anderem zusammen mit dem Kollegen Schiefele haben wir dort z. B. Lehrprogramme entwickeln. Es hat sich dabei auch herausgestellt, dass Lehrprogramme dann, wenn sie gut gemacht sind, gegenüber anderen Lernformen durchaus zu höheren Lernerfolgsergebnissen führen. Wir haben das im Deutschunterricht beispielsweise bei Rechtschreibprogrammen festgestellt. Es wäre sehr interessant, das weiter zu verfolgen. Man hat diese programmierte Unterweisung allerdings teilweise auch übertrieben. Mittlerweile ist das jedoch alles auf ein normales Maß zurückgegangen. Wenn ich es schätzen sollte, dann würde ich sagen, dass nicht mehr als fünf oder zehn Prozent des Unterrichts mit Lehrprogrammen bewältigt werden. Früher, in den Anfängen, hatte man ja die Euphorie, dass man damit sogar Lehrer ersetzen könnte, weil man den größten Teil des Unterrichts mit Lehrprogrammen bewältigen könnte. Diese Euphorie kam natürlich aus den USA zu uns: Das ist jedoch weder dort noch bei uns jemals erreicht worden.  

 
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Ich bin ein potentieller Amokläufer, denn ich höre Heavy Metal, die Musik, die mit dem Teufel im Bunde steht, ich spiele gemeine Killerspiele, in denen die Feinde auch mal bluten, und ich sehe mir Kriegs- und Gewaltfilme an... Wann werde ich deportiert, kriege meine Nummer und darf mich anstellen?
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« Antworten #1 am: 27. April 2003, 15:47:02 »

Teil 2

Gruß Amoebe

Reuß: Das Angebot an Medien nimmt ja ständig zu, ebenso wie es ein ständig steigendes Informationsangebot gibt. Man kann da ja zunächst einmal unterstellen, dass sich deswegen das Wissen und die Informationen in der Bevölkerung nivellieren werden. Dennoch gibt es die Theorie, dass die Wissenskluft zwischen den formal höher gebildeten und den formal etwas weniger gebildeten Menschen immer noch größer werden wird. Teilen Sie diese Ansicht, dass es eine Wissenskluft geben wird?  
Glogauer: Ich glaube, das ist zu stark verallgemeinert gefragt. Wir haben in unserer Gesellschaft im Hinblick auf die Berufe und die Interessen eine sehr starke Differenzierung vorliegen: Die Entwicklung mit den Spartenkanälen und die Tatsache, dass auch Ihr Sender zum Teil ganz gut ankommt, zeigt doch eigentlich, dass es diese sehr großen Interessensunterschiede tatsächlich gibt, die bis in den beruflichen Bereich hineingehen. Man sollte diese Frage also doch etwas differenzierter sehen, wie überhaupt diese ganze Mediendiskussion oft zu einseitig geführt wird.  
Reuß: Ich würde gerne noch das Thema "Gewalt" ansprechen. Sie vertreten ja die Auffassung - es gibt darüber auch ein Buch von Ihnen -, dass Gewaltdarstellungen in den Medien, also im Fernsehen oder auch in den Computerspielen, Kinder und Jugendliche kriminalisieren können. Da stellt sich einem jedoch folgende Frage: Gewaltdarstellungen gab es doch immer schon. Es gab sie in der Antike, und es gab und gibt sie in der Kunst, in der Literatur. Worin besteht denn der qualitative Unterschied zwischen diesen Gewaltdarstellungen in der Literatur und der Kunst und den visuellen Medien?  
Glogauer: Ich glaube, dass der Unterschied an einer neueren Entwicklung ganz besonders deutlich wird, nämlich am großen Interesse der Kinder und Jugendlichen - und in zunehmendem Maße auch der Erwachsenen - an den Computerspielen. Wo liegt der Qualitätsunterschied in der Rezeptionssituation von Filmen oder Videofilmen und den Computerspielen? Der Mediennutzer erreicht bei letzterem eine völlig neue Qualitätsstufe: Er ist selbst der Akteur per Maus oder per Joystick. Bei diesen Killerspielen fliegen eben massenweise die Köpfe, wird gefoltert oder werden sexuelle Delikte begangen. Hier kommt es zu Prozessen, die viel stärker verinnerlicht werden: Es tritt eine Automatisierung dieses Abschießens ein, denn das Denken wird abgeschaltet und moralische Kriterien kommen überhaupt nicht mehr zum Einsatz. Das ist im Grunde genommen alles reduziert auf das übliche Reiz-Reaktions-Schema, so wie es z. B. auch in der militärischen Ausbildung bei Schießübungen geschieht.  
Reuß: Wird auch das Unrechtsbewusstsein, das Weltbild und das Menschenbild der Jugendlichen dadurch verändert, wenn Gewalt sozusagen positiv sanktioniert wird, wenn man also durch Tötungssimulationen Punkte sammeln und damit das Spiel gewinnen kann?  
Glogauer: Das ist ein ganz wichtiges Element. Die Tatsache, dass in so einem Spiel bestimmte Gegner eliminiert und dafür Punkte vergeben werden, ist eine Bekräftigung, eine Verstärkung, wenn ich das hier einmal lernpsychologisch ausdrücken darf. Es ist natürlich etwas sehr Schlechtes, wenn man fürs Töten belohnt wird. Die Entwicklung bei den Computerspielen ist in allerjüngster Zeit wirklich beängstigend. Es gibt inzwischen die Möglichkeit, dass die Spieler bei diesen Spielen Bilder einscannen können: etwa von Lehrern oder Lehrerinnen, gegen die sie irgendwelche Aggressionen hegen. Die Spieler können dann per Joystick oder Maus auf diese Bilder schießen. Das ist bei uns bei den schlimmsten Spielen - ich möchte hier keine Namen erwähnen, um damit nicht irgendwelche Vorgaben für die Nutzung solcher Spiele zu leisten - mittlerweile möglich. Wenn etwas wirklich ganz dringend passieren müsste, dann wären es neue Regelungen und Bestimmungen, die man hier einführen müsste, damit man diese Nutzung eindämmen kann. Wir haben bereits 1994 in Augsburg an über 500 Hauptschülern eine Untersuchung über deren Nutzung des Computers und vor allem der Computerspiele gemacht. Schon damals hatten 62 Prozent von ihnen Zugang zu indizierten und beschlagnahmten Computerspielen und spielten diese auch. Das ist doch eine ungeheure Zahl, die sich bis heute noch einmal erhöht hat, wie ich weiß.  
Reuß: Ich würde gerne noch einmal zum Fernsehen zurückkommen. Bis zum Alter von 18 Jahren hat laut einer Studie ein amerikanischer Teenager bis zu 40000 Morde im Fernsehen gesehen. In Deutschland werden pro Jahr inzwischen auch bis zu 25000 Morde in allen Varianten gezeigt. Sie selbst zitieren dazu eine Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass jährlich 10000 Morde und 70000 Vergewaltigungen zu verhindern wären bzw. gar nicht stattfinden würden, wenn es das Fernsehen nicht gäbe. Wie kommt man zu so einem Ergebnis? Ist das nicht bloß eine Hypothese?  
Glogauer: Das ist keine Hypothese, denn an der Stelle kann ich Ihnen auch die Ergebnisse meiner letzten Forschung nennen. Es ging dabei um medieninduzierte Sexualdelikte Jugendlicher. Ich habe dabei eine ganz bestimmte Zahl exploriert, denn ich bin in Gesprächen ausführlich diesem Zusammenhang nachgegangen. Das Ergebnis ist eindeutig, und ich kann wirklich kein anderes Ergebnis vermelden: Bei fast jedem zweiten Täter ist der Medienkonsum, also der Konsum dieser Porno- und Sexmedien, die ausschließliche Ursache für seine Sexualdelikte. Ich muss dabei aber noch Folgendes ergänzen: Diese Sexualdelikte geschehen in dieser schlimmen Art dann, wenn die Nutzung dieser Medien bereits in einem frühen Alter beginnt, wenn das also, wie das heute leider der Fall ist, mit neun oder zehn Jahren anfängt und wenn parallel dazu auch Gewaltmedien, wenn parallel dazu also diese Horrorfilme und Actionfilme konsumiert werden. Gerade diese Parallelität ist das Gefährliche. Bei den Sex- und Pornofilmen sind ja meistens an sich schon sehr viele Gewalttätigkeiten mit dabei: Wenn dann noch diese anderen Gewaltmedien konsumiert werden, dann wird das wirklich gefährlich. Eine solche Parallelität führt meines Erachtens zwangsläufig zu solchen Delikten. Noch ein Punkt ist jedoch wichtig. Gefährlich wird es, wenn sich die Eltern nicht um diesen Medienkonsum kümmern und überhaupt keine Kontrollfunktion ausüben. Bedauerlicherweise ist das jedoch bei mindestens 50 Prozent der Erziehungsberechtigten der Fall. Damit sind wir nun wieder auf die Medienpädagogik zurückgekommen. Eine ganz wichtige Sache wäre in diesem Zusammenhang also die Aufklärung der Erziehungsberechtigten: über Nutzung und Medienwirkung bei Kindern und Jugendlichen. Das liegt heute jedoch noch ganz im Argen.  
Reuß: Nun gibt es ein paar ganz extreme Fälle: In den USA hat ein sechsjähriger Schüler seine Mitschülerin erschossen, in Bad Reichenhall hat ein Jugendlicher fünf Menschen getötet, in Meißen hat ein Schüler seine Lehrerin vor der Klasse erstochen. Es gab dieser Tage vier Jugendliche in Darmstadt, die von einer Autobahnbrücke aus Steine auf Autos geworfen und damit zwei Menschen tödlich verletzt haben. All diese Taten standen den Berichterstattungen zufolge immer in Zusammenhang mit einem bestimmten Medienkonsum. Wenn es zu solchen Nachahmungstaten kommt: Gibt es bestimmte Schlüsselreize, die so eine Nachahmung auslösen können?  
Glogauer: Ich glaube, dass man bei diesen Fällen nicht von reinen Nachahmungstaten sprechen sollte. Das, was Sie vorhin gesagt haben, zeigt, dass diese ganze Sache doch komplexer und komplizierter ist. Es geht nämlich nicht nur um diese pure Nachahmung alleine: obwohl das schon auch eine Rolle spielt. Ich verwende in diesem Zusammenhang lieber den Begriff des Beobachtungslernens. Bei den Fällen in den USA und bei den von Ihnen genannten Fällen hier in Deutschland zeigt es sich aber, dass all diese Täter nahezu übereinstimmend die gleichen indizierten und bei uns sogar verbotenen und beschlagnahmten Computerspiele gespielt haben, dass sie auch die gleichen Filme gesehen haben. Sie haben z. B. alle diesen Film mit Leonardo Di Caprio gesehen, der auf Deutsch "Baseball-Tagebuch" heißt. Dort tritt er ganz dunkel gekleidet mit der Knarre in der Hand auf. In diesem Film kommen Szenen vor, die direkte Anleitungen sind für "Nachahmungen". All diese Täter waren auch User dieser modernen jugendspezifischen Musik, dieser Gothic Music. Sehr viele dieser Täter haben z. B. auch den Film "Natural Born Killers " gesehen. Ich darf hier darauf hinweisen, dass es in den USA ja so ist, dass die Angehörigen der Opfer dieser Fälle - das sind in den letzten fünf Jahren bereits mehrere gewesen - vom obersten amerikanischen Gericht zugestanden bekommen haben, dass sie in diesen Fällen Anzeige erstatten können. Da laufen nun die ersten Prozesse, in denen auch Mediengutachter tätig sind. Bei den Computerspielen ist dabei z. B. David Grossmann als Gutachter benannt: Er ist ein hervorragender Experte für Computerspiele. Da geht es dann doch um ziemlich große Beträge - um circa 130 Millionen Dollar Schadensersatz. In den USA kommt somit auf die Produzenten, auf die Verteiler solcher Medien doch einiges zu. In dem von Ihnen angesprochenen Buch habe ich das bereits einmal dargestellt: Es gab in den USA seit den siebziger Jahren schon einige solcher Prozesse mit entsprechenden Verurteilungen. Wenn wir das auf einen Nenner bringen wollen, dann geht es dabei also im Grunde genommen um die Produkthaftung der Medien. Ich möchte an der Stelle auch sagen, dass aufgrund der geringen Einsichtigkeit vieler Medienproduzenten und Verteiler viele Menschen das mittlerweile als ein notwendiges Mittel ansehen: Man soll dabei wirklich nach dem Prinzip der Produkthaftung vorgehen. Denn berechtigterweise wird in dem Zusammenhang wie folgt argumentiert: Diese Produkthaftung gibt es ja schließlich auch in anderen Bereichen wie z. B. in der pharmazeutischen Industrie oder in der Autoindustrie usw. Ich beziehe mich hier, wie gesagt, immer nur auf diese schlimmen Dinge, die wir vorhin angesprochen haben. Die anderen, die positiven Dinge bestehen natürlich auch: Gegen die Produzenten und Verteiler dieser Dinge soll hier auch gar nichts gesagt werden. Wichtig ist eben, dass bei diesen schlimmen Dingen Maßnahmen ergriffen werden müssen. Ich möchte dafür noch ein Beispiel nennen. Bayern hat ja vor kurzem im Bundesrat versucht, diese Killerspiele zu verbieten. Es ging darum, sich darauf zu einigen, diese Spiele zu verbieten. Das ist im Bundesrat aber durchgefallen. Eine solche Entscheidung kann ich wirklich nicht verstehen. Es gibt selbstverständlich sehr positive Computerspiele: Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Wenn man meinetwegen diese Simulationsspiele im Bereich des Sports nimmt, dann trifft das zu. So etwas gibt es ja mittlerweile für alle Sportarten. Es geht mir hier wirklich immer nur um diese Auswüchse: Da tut man sich als Medienpädagoge ebenso wie mancher Politiker schon sehr schwer, in diesem Bereich bestimmte Dinge durchzusetzen.  
Reuß: Kommen wir noch einmal kurz zum Fernsehen zurück. Gewalt findet ja nicht nur im fiktionalen Bereich, sondern auch in Nachrichten und in Informationsmagazinen statt. Der ehemalige Bundesvorsitzende des "Deutschen Journalistenverbandes" Dr. Herrmann Meyn schreibt in einem neuen Buch, dass Gewaltdarstellungen nicht in jedem Fall negativ zu bewerten sind. Er sagt: "Ohne die Aufnahmen napalmverbrannter Kinder hätte der Vietnamkrieg womöglich noch sehr viel länger gedauert. Ohne die grausamen Bilder aus dem ehemaligen Jugoslawien wären vermutlich multinationale Streitkräfte nicht für den Frieden auf dem Balkan eingesetzt worden." Ergänzend dazu kann man vielleicht sagen, dass es auch den Einsatz der Vereinten Nationen in Somalia ohne diese Bilder nicht gegeben hätte. Bewirkt die Gewaltdarstellung auf politischer Ebene manchmal auch Positives?  
Glogauer: Das ist schwer zu sagen. Wenn man die Kinder und Jugendlichen betrachtet, kann man sagen, dass sie dadurch auch emotional geschädigt werden: Daran besteht überhaupt kein Zweifel, denn sie bekommen Angst vor bestimmten Erscheinungen der Wirklichkeit, weil dabei eine Übertragung auf ihre eigene Wirklichkeit erfolgt. Das muss man schon auch sehen, und das ist in Forschungen auch schon so und so oft nachgewiesen worden. Die Kinder und Jugendlichen bekommen auch eine negative Erwartungshaltung gegenüber ihrer eigenen Zukunft. Übrigens hat die UNESCO 1995 in einem Beschluss, der bedauerlicherweise nur sehr wenig beachtet wird, u. a. festgestellt, dass das Fernsehen gerade diese Wirkung hat: weil eben immer so stark das Negative, das Brutale, das Perverse usw. im Vordergrund steht.  
Reuß: Sie haben ja auch schon andere Medien untersucht. Über die Computerspiele haben wir bereits kurz gesprochen. Aber es gibt ja auch Musikrichtungen, die negative Folgen haben können. Welche Erkenntnisse haben Sie denn dabei gewonnen?  
Glogauer: Auch hier gilt natürlich das, was ich soeben schon gesagt habe: Ich beziehe mich immer nur auf die extremen Dinge. Das ist z. B. der Musikbereich des Heavy Metal mit dem Unterbereich des Black Metal und seinen satanischen Texten. Wenn man sich diese Texte näher anschaut, dann wird man feststellen - und das wird wohl niemand bestreiten können -, dass das regelrechte Anweisungen für satanische Praktiken sind. Das betrifft aber auch bestimmte Bereiche in der Rap-Musik und dabei vor allem diesen Gangster Rap. Diese Musik kommt aus den USA, und die Begründer dieser Richtung waren in der Tat selbst Kriminelle. Eine Hauptfigur und auch für viele deutsche Jugendliche eine Idolfigur ist z. B. Ice-T. Er hatte eine solche Gruppe geleitet, deren Mitglieder im Grunde genommen alle Verbrechen begangen haben. Um das Ganze ein wenig zu veranschaulichen: Er ist deshalb umstritten, weil er u. a. den Text "Cop Killer" geschrieben hat. Die eine Hälfte der Amerikaner hat das als eine Aufforderung zum Polizistenmord aufgefasst, die andere Hälfte hat das bestritten. Ich glaube also schon, dass solche Dinge nicht in die Welt gesetzt werden sollten, denn es besteht wirklich die Gefahr, dass diese erste Hälfte der Menschen Recht behält.  
Reuß: Sie haben in Ihrer Forschung einen ziemlich ganzheitlichen Ansatz, über die psychologischen Folgen haben wir z. B. bereits kurz gesprochen. Sie haben aber jetzt ein neues Buch veröffentlicht, das auch die physiologischen Folgen und dabei insbesondere die medizinischen Folgen von zu viel Medienkonsum beschreibt. Das Buch heißt "Die neuen Medien machen uns krank". Sie schreiben darin über die gesundheitlichen Schäden, die durch übermäßigen Medienkonsum entstehen können. Was sind denn Ihrer Ansicht nach die gravierendsten Schäden, die dabei entstehen können?  
Glogauer: Die gravierendsten Schäden sind psychischer und physischer Art. Ich nehme hier einmal den Bereich der physischen Schäden heraus. Ich beziehe mich in diesem Buch, und das möchte ich ausdrücklich betonen, auf den internationalen Forschungsstand. Hier sind vor allem Beiträge aus dem Bereich der Medizin und der Physiologie geleistet worden. Es ist z. B. ganz eindeutig so, dass zu langes Sitzen vor dem Fernseher zur Fettleibigkeit und zur Superfettleibigkeit führt und dass Menschen, die sehr viel vor dem Fernseher sitzen, unter einer signifikanten Reduzierung des Stoffwechsels leiden. Man weiß dabei auch, dass das z. B. bis hin zu Organschäden führen kann, wenn das chronisch wird. Zu nennen wären hier natürlich auch die Schäden im Bewegungs- und im Stützapparat: Das tritt bei einem zu langen Arbeiten vor dem Bildschirm genauso auf wie beim zu langen Nutzen der Computerspiele. Es gibt ja heute bereits Kinder, die sechs und mehr Stunden täglich vor ihren Computerspielen sitzen: In manchen Phasen sind das sogar noch erheblich mehr Stunden. Dabei treten dann solche Schäden auf. Es gibt da z. B. auch Augenschäden. Ich habe diesem ganzen Komplex ja insgesamt 15 Kapitel gewidmet: Ein weiteres Beispiel sind meinetwegen die Hörschäden, die durch überlaute Musik entstehen. Es ist international eindeutig nachgewiesen, dass etwa 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen davon betroffen sind. Man hat auch dieses Problem lange Zeit überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Ich habe für mich selbst einmal überschlagsmäßig ausgerechnet, was dabei an Kosten zur Behebung dieser gesundheitlichen Schäden anfällt: Das sind wirklich Milliardenbeträge. Es gibt das Beispiel aus den USA, dass allein im Schulter- und Nackenbereich die Schäden dieser Form der Mediennutzung pro Jahr 30 Millionen Dollar an Kosten verursachen. Das wird über kurz oder lang auch bei uns so der Fall sein, denn in ein oder zwei Jahren wird sich bei uns die Zahl der Menschen, die einen Computer benutzen, versechzigfachen. Das ist eine ungeheure Entwicklung. Da müsste man doch auch wieder an Präventionen denken, um dabei bestimmten Dingen vorbeugen zu können.  
Reuß: Sie haben in Ihrem Buch folgende Dinge behandelt: Fehlentwicklungen der Sprache und der Bewegungsmotorik, Übergewicht, schwindende Lesefähigkeit, Schädigungen des Sitz- und Bewegungsapparates usw. Sie haben auch vor möglichen Hirnschädigungen bei zu viel Medienkonsum gewarnt. Was sind das für Schäden, die dabei auftreten können?  
Glogauer: Das sind ganz einfach physiologische Schäden im Gehirn. Durch das zu lange und ausschließliche Sehen von Bildern - vor allem dann, wenn diese Bilder wie z. B. in der Werbung sehr hektisch hintereinander geschnitten werden - werden die Aufnahmefähigkeit, die Speicherfähigkeit und der Langzeitspeicher im Gehirn nicht genügend angesprochen. Die Fähigkeit, sich etwas auf die Dauer einprägen zu können, wird geschädigt. Ich will hier einmal Professor Spitzer von der Universität in Ulm erwähnen, denn es sind ja in letzter Zeit gerade die Psychiater, die uns darauf aufmerksam machen. Professor Spitzer z. B. sagt, dass die kortikale Ebene bei Kindern noch sehr empfänglich ist, weil sie bei ihnen noch in der Entwicklung steckt. Es werden dabei eben auch jene negativen Verhaltensweisen, die vom Fernsehen vermittelt werden, genauso eingeprägt wie positive Verhaltensweisen.  
Reuß: Unserer Zeit rast davon. Ich möchte Ihnen daher noch eine abschließende Frage stellen, die ein wenig den Blick in die Zukunft wirft. Die Bedeutung der Medien wird noch einmal zunehmen, und die Digitalisierung wird uns vielleicht 150 bis 200 Fernsehprogramme bescheren. Sie selbst haben schon davon gesprochen, welche Bedeutung in Zukunft der Computer einnehmen wird: Dessen Bedeutung wird in Zukunft sicherlich noch einmal weiter ansteigen. Wie prognostizieren Sie daher die Zukunft der Mediennutzung und auch die gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Mediennutzung?  
Glogauer: Wenn wir uns die Zahlen der Mediennutzung ansehen - ganz gleich, ob wir das auf die Kleinkinder oder z. B. auf die älteren Menschen beziehen -, dann kann man feststellen, dass sie gestiegen ist. Daran gibt es gar keinen Zweifel. Ich möchte als Beispiel die ZDF-Studie aus dem Jahr 1997 anführen. Dort wird belegt, dass die Zahl der Fernsehstunden bei den Drei- bis Fünfjährigen zugenommen hat. Man kann also eher eine Zunahme anstatt einer Abnahme prognostizieren: vor allem auch wenn man sich die Entwicklung bei der Nutzung des Computers betrachtet. Es ist daher wirklich dringend an der Zeit, dass man sich ernsthaft Gedanken darüber macht, wie man denn diesen weiteren negativen Entwicklungen vorbeugen kann. Darin sehe ich wirklich das größte Problem. Das wird jedenfalls mit den freiwilligen Selbstkontrollen nicht zu leisten sein. Es gibt ja schon die freiwillige Selbstkontrolle beim Medium Kino und die freiwillige Selbstkontrolle beim Fernsehen. Und nun gibt es auch eine freiwillige Selbstkontrolle bei den Computerspielen. Jeder Mensch - auch der, der sich mit diesen Dingen nicht eingehend beschäftigt hat - kann jedoch erkennen, dass all diese Kontrollen nichts erbracht haben. Es ist ja kein Stopp oder keine Reduzierung der Verbreitung von Sex, Pornographie und Gewalt in den Medien eingetreten. Stattdessen haben wir heute auf diesem Gebiet ein vermehrtes Angebot.  
Reuß: Unsere Zeit geht leider zu Ende. Ich darf mich ganz herzlich für Ihr Kommen und für das sehr angenehme Gespräch bedanken. Zum Schluss möchte ich noch einmal auf die möglichen Wirkungen insbesondere der visuellen Medien zurückkommen. Sie haben zur Begründung, warum visuelle Medien anders wirken als z. B. Schriftmedien, in einem Ihrer Bücher Goethes "Faust" zitiert: "Dummes Zeug kann man viel reden, man kann es auch schreiben, das wird weder Leib noch Seele töten, es wird alles beim Alten bleiben. Dummes aber vors Auge gestellt, hat ein magisches Recht: Weil es die Sinne gefesselt hält, bleibt der Geist ein Knecht." Wir hoffen aber, dass die Menschen bewusst und gezielt fernsehen, denn letztlich entscheidet auch die Akzeptanz über das Angebot. Noch einmal herzlichen Dank, Herr Professor Glogauer. Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, das war Alpha-Forum, heute mit dem Medienwissenschaftler Professor Werner Glogauer. Herzlichen Dank für Ihr Interesse und fürs Zuschauen und auf Wiedersehen.  



 
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« Antworten #2 am: 28. April 2003, 08:34:08 »

Hi Amobe,

mensch, dass ist ja eine Menge Holz.

cheer...Dr.TOngue

 
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« Antworten #3 am: 28. April 2003, 10:07:02 »

Ja sorry, aber es war zu wichtig, sollte man auch etappenweise lesen.

Gruß Amoebe
 
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« Antworten #4 am: 23. Mai 2003, 10:18:07 »

Ich hatte einmal die zweifelhafte Ehre, anläßlich einer Fernsehdiskussion im Dritten des NDR über das Thema Horrorfilme, diesen Herren persönlich kennen zu lernen.

Diser Mensch gehört zu den unverbesserlichen und unbelehrbaren sogenannten Medienwissenschaftlern, die nur ihre eigene Meinung zählen lassen und versuchen jedem anderen diese Meinung aufzuzwingen und zwar mit Gewalt.

Glogauer ist einer der größten Hexenjäger unserer Zeit und ist definitiv nicht in der Lage zwischen Realität und Fiktion im Film und Buch zu unterscheiden.

Ich beete für seine arme Seele.


Grüezi,

Fraenklin
 
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« Antworten #5 am: 23. Mai 2003, 10:59:35 »

Hi all,

ich habe mal einen Aufsatz von diesem Herrn überflogen.

Hexenjäger passt, was er da losläßt ist alles andere als wissenschaftlicher Sprachstil (z.B. primitiv kommödiatenhaft).

cheers...Dr.Tongue



 
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« Antworten #6 am: 23. Mai 2003, 11:56:30 »

Ich hatte ihn letztes Jahr im fernsehen bei einer Diskussion erleben dürfen. Die Debatte ging um einen indizierten Ego-Shooter.
Der Wortschatz des "Professors" beschränkte auf die begriffe, wie "alles krank", "gehört verboten" etc...
Für einen Mann mit Abitur ein sehr begrenzter Wortschatz.

Gruß Amoebe
 
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« Antworten #7 am: 23. Mai 2003, 12:26:08 »

Hier ein Artikel des Spiegel zu Herrn Glogauer:

Der Spiegel (22.04.91 Nr. 17)

Popstar in der Kühltruhe

Die Studie eines Pädagogik-Professors belegt: Horrorvideos können aus Kindern Mörder machen.

In seiner Schule in einer niederbayerischen Kleinstadt mußte sich der schmächtige, schüchterne Junge immer hänseln lassen. Schon damals hatte er eine Vorliebe für Pornohefte und brutale Actionfilme.

Auch zu Hause erfuhr der Bub wenig Zuneigung. Er flüchtete sich immer mehr in eine von Gewalt und Schrecken beherrschte Phantasiewelt. Massenhaft konsumierte er Western, Krimis und vor allem Horrorvideos.

"So etwa ab dem 14. Lebensjahr", gestand der Niederbayer später dem Richter, "spielte ich in Gedanken verschiedene Gewalttaten durch. Meistens stellte ich mir dabei vor, ein Mädchen zu vergewaltigen und es anschließend zu töten."

Am Tag der Tat sah sich der inzwischen 20jährige zunächst das Video "Die 36 Kammern der Shaolin" an, einen Kung-Fu-Film. Abends im Kino folgte dann noch der Schocker "Talon gegen das Imperium". Dessen Personal besteht aus sexbesessenen Sklavinnen und starken Männern, die sich in Folterungen und Menschenschlächtereien ergehen. Immer wieder werden Frauen mit Dolchen und Schwertern drangsaliert und vergewaltigt.

Nach dem Film sei ihm "schon ein bißl komisch zumute gewesen", bekannte der junge Mann vor Gericht. Vom Kino aus fuhr er mit seinem Auto nicht nach Hause, sondern ziellos in der Gegend herum - und das mit dem Gefühl: "Du findest schon irgend jemanden, der das tut, was du sagst." Tatsächlich fand er noch in derselben Nacht ein 18jähriges Mädchen. Er vergewaltigte sein Opfer und tötete es mit zahlreichen Messerstichen.

Der brutale Mord ist nur einer von vielen ähnlichen Fällen, die der Pädagoge Werner Glogauer, 65, in einer neuen Studie aufzählt. Der Augsburger Professor hat bisher unveröffentlichte Vernehmungsprotokolle deutscher Amts- und Landgerichte eingesehen. Glogauers Bilanz: "Mindestens jedes zehnte Gewaltverbrechen, das jugendlichen Tätern angelastet wird, geht eigentlich aufs Konto der Medien."

In "modellhafter Nachahmung", so der Experte für Mediendidaktik, würden Kinder und Jugendliche immer häufiger all das, was ihnen an Grausamkeiten in Videos und Kinofilmen, Zeitschriften und Comics vorgeführt werde, in blutige Taten umsetzen. Die Medien, glaubt Glogauer, liefern den Heranwachsenden "Impulse, Motive und Modelle" für das Verbrechen.

Grausige Videos spielen dabei nach Ansicht des Wissenschaftlers die entscheidende Rolle. Neue Umfragen haben ergeben, daß mehr als 40 Prozent der 13- bis 16jährigen Videofreunde "häufig" oder "sehr häufig" Horrorkassetten sehen. Jeder vierte zählt indizierte Filme zu seinen "Lieblingsvideos", schaut also vor allem solche Streifen an, die von der Bundesprüfstelle wegen ihres "menschenverachtenden Inhalts" als "besonders jugendgefährdend" eingestuft wurden.

Mit Glogauers Studie erhält ein alter Gelehrtenstreit neuen Stoff. Über die Frage, ob die Darstellung von Brutalität beim Betrachter wiederum Brutalität erzeugt, haben schon Philosophen im antiken Griechenland gestritten. Aristoteles zum Beispiel erwartete vom gewalttätigen Geschehen der klassischen Tragödie eine Läuterung des Publikums. Platon dagegen verdammte schaurige Dramen als gemeinschaftsgefährdend.

Erst der Kinderpsychologe Bruno Bettelheim fand vor wenigen Jahren eine Kompromißformel, die beide Theorien zusammenführt. Die meisten Kinder, beobachtete Bettelheim, brauchen "aggressive Phantasien", um "feindselige Gefühle stellvertretend ausleben zu können". Nur "von Haus aus ernstlich gestörte Kinder", warnte der Psychologe, würden sich von blutigen Bildschirm-Märchen brutalisieren lassen.

Zu diesem gefährdeten Kreis zählen die Täter aus der Untersuchung Glogauers: Sie stammen aus zerrütteten Familien, aus sozialen Randgruppen; als Kinder wurden sie verstoßen oder mißhandelt. Viele leiden unter Minderwertigkeitskomplexen und Ängsten, Neurosen, Wahnideen oder geistigen Behinderungen.

So wurde einem 17jährigen Jugendlichen aus Norderstedt bei Hamburg eine "psychopathologische Veranlagung" bescheinigt. Die psychische Störung fiel den Medizinern allerdings erst auf, nachdem er gleich zweimal junge Frauen auf bestialische Weise angefallen hatte.


 
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« Antworten #8 am: 23. Mai 2003, 12:27:32 »

Laut Anklage versuchte der junge Mann, "eine Frau niederzustechen, ihr den Fuß abzuschneiden und diesen anschließend zu essen". Bei der ersten Attacke verbog sich das Messer, beim zweiten Mal fügte er seinem Opfer 30 Stiche zu und ließ erst von der schwerverletzten Frau ab, als ihr Passanten zu Hilfe eilten.

Das Vorbild des Täters, so ermittelte die Staatsanwaltschaft, war die 16jährige Hauptdarstellerin des indizierten Horrorvideos "Der Fan". In dem Film ermordet das Mädchen aus unerwiderter Liebe einen Popstar, zerschneidet den Mann in kleine Teile und friert diese in der Kühltruhe ein, um sie später Stück für Stück aufzuessen.

Auch zwei vorbestrafte Jugendliche aus einer bayerischen Dorfgemeinde kopierten einen Mord von der Mattscheibe. Die beiden hatten sich daheim den Brutalo-Western "Die im Sattel verrecken" angesehen, in dem mehrere Morde und Raubüberfälle inszeniert werden. Nach einigen Flaschen Bier, so erklärte einer der beiden Dorfbuben später vor Gericht, sei ihnen "blitzartig die Idee" gekommen, "daß wir es eigentlich so machen könnten wie in dem Film".

Und wirklich rüsteten sich die beiden mit Strumpfmasken, einer Pistolenattrappe und einem Messer aus. Dann drangen sie in die Wohnung einer Bekannten ein, bei der sie eine größere Geldsumme vermuteten. Das entsetzte Geschrei der Frau und ihrer ebenfalls anwesenden Freundin versetzte die jungen Männer in Panik - sie töteten beide Frauen mit dem Messer.

Doch nicht immer liefern Videos konkrete Modelle der Gewalt. Schon das vollständige Eintauchen in eine aus verschiedenen Vorbildern zusammengefügte fiktive Horrorwelt kann tödliche Folgen haben. So kam es Ende 1988 im Ruhrgebiet zu dem von Kriminalisten so genannten Zombie-Mord. Der 16jährige Täter hatte über Jahre hinweg Comics und Hörkassetten mit satanischen und okkulten Inhalten sowie Horrorvideos konsumiert. Dazu zählte etwa der indizierte Film "Verdammt, die Zombies kommen" sowie der 1984 bundesweit beschlagnahmte Streifen "Nightmare".

Der pubertierende Jüngling beteiligte sich an schwarzen Messen und vertiefte sich in düstere Horrorszenarien. Schließlich zog er eines Tages mit seinem Freund in eine abgelegene Fabrikruine. Dabei gelangten sie in einen dunklen Raum - und prompt kamen dem Videofreak Horrorvisionen: Sein Begleiter erschien ihm plötzlich als ein ihn attackierender Zombie; mit einer Eisenstange erschlug er den Freund.

Die Medien, so das Fazit der Anklage, hätten nicht nur das Interesse des Beschuldigten "für die immer intensivere Beschäftigung mit dem Okkultismus geweckt", sondern ihm auch das "Material für die Ausgestaltung der Wahnwelt geliefert". "Nach meiner Auffassung", erklärte der Staatsanwalt, "wäre es ohne den Konsum dieser Videos, Hefte und Audio-Kassetten nicht zu diesem Tötungsdelikt gekommen."

Einer ähnlich gewalttätigen Phantasiewelt ist ein 15jähriger Italiener erlegen, der jahrelang in einem Heim in der Pfalz lebte. Bei den Heimkindern hieß er "Rambo". Der Junge war ein glühender Anhänger des gleichnamigen amerikanischen Kinohelden, der in seinem letzten Film allein 123 Russen niedermetzelte. Immer wieder sah sich "Rambo" die rabiaten Abenteuer seines Vorbildes an. Er beschaffte sich eine Tarnhose und ein Rambo-Messer und las alles, was er über den anscheinend unbesiegbaren Dschungel-Krieger in Erfahrung bringen konnte.

Die Aggressionen des Zöglings waren im Heim gefürchtet, doch sein Angriff auf einen 14jährigen Zimmergenossen überraschte auch die Betreuer: Im Streit sprang der Rambo-Fan wütend auf einen Stuhl, zog sein Messer und stach auf den bereits im Bett liegenden 14jährigen ein. Der Stich in die Halsschlagader war tödlich.

Der vom Landgericht Trier bestellte psychologische Gutachter attestierte dem Täter eine ungewöhnlich starke Identifikation mit dem Film-Vorbild. Der Junge habe die typischen Bewegungen des Leinwand-Killers nachgeahmt, die Bluttat sei nach "einem eingeübten Verhaltensmuster nach Rambo-Art" abgelaufen.

Nach demselben Modell, wenn auch mit einem anderen Vorbild, handelte 1987 ein 24jähriger in der Nähe des niederbayerischen Deggendorf. Der von seinen Eltern stark vernachlässigte junge Mann hatte sich dem Ninja-Kult verschworen, einer Bewegung, die die Rituale einer altjapanischen Kämpfersekte imitiert. Durch eine ganze Reihe brutaler Videos, durch Bücher und zahlreiche Accessoires haben die Ninjas inzwischen in Deutschland viele Anhänger gewonnen (SPIEGEL 50/1990).


 
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« Antworten #9 am: 23. Mai 2003, 12:28:11 »

Der Nachwuchs-Ninja besorgte sich einen schwarzen Kampfanzug mit Kapuze und Maske, schwarze Kletterschuhe, Wurfsterne, Wurfpfeile und ein scharfgeschliffenes Samurai-Schwert. Mit einem Holzschwert führte er zunächst Schlagübungen durch, dann aber legte der junge Mann seine gesamte Montur an und drang in ein Jugendheim ein. Zwei Erzieherinnen, die sich ihm in den Weg stellten, fügte er mit wilden Schwerthieben schwere Verletzungen an den Armen zu.

Vor dem Landgericht Deggendorf gab der Gewalttäter an, er habe das Schwert nur zur "seelischen Unterstützung" mitgenommen. Tatsächlich, so urteilte die Kammer, führte der Mann jedoch mit seinem Schwert "wuchtige Hiebe in Richtung auf vitale Zentren der beiden Frauen", ihm sei ganz offenbar auch "ein tödlicher Ausgang recht gewesen".

Für den Pädagogen Glogauer ist der Fall klar: Der Täter sei zum "Opfer" der multimedial verbreiteten Ninja-Kultur geworden; der junge Mann habe sich so nachhaltig mit der "Rolle des Ninja-Kämpfers identifiziert", daß sein skrupelloser Angriff als eine "fast logische Konsequenz" zu betrachten sei.

Diese schlichte Beweisführung stößt bei anderen Experten allerdings auf Skepsis. Vor allem Kriminologen weisen darauf hin, daß es für einen direkten Umschlag von Mediengewalt in konkrete Gewalttaten keine statistischen Belege gibt: Während die Videobranche boomt, läßt sich eine entsprechende Zunahme exzessiver Gewalt von Jugendlichen bisher nicht feststellen.

Auch viele Medienforscher scheuen vor eindeutigen Aussagen zurück - beispielsweise der Mainzer Publizistik-Professor Hans Mathias Kepplinger: "Aufgrund der bisher vorliegenden Untersuchungen", erklärt der Wissenschaftler, "sind keine befriedigenden Aussagen über das Verhältnis von Medieninhalten und Gewaltanwendung möglich."

Betroffene ziehen meist direktere Schlüsse. In den USA haben verzweifelte Eltern sogar schon versucht, die Hersteller von Filmen und Schallplatten vor Gericht zu bringen, um den Tod ihrer Kinder zu sühnen. So mußte sich im August letzten Jahres die Heavy-Metal-Band Judas Priest vor einer Kammer in Reno im US-Staat Nevada des Vorwurfs erwehren, sie habe mit ihrem Album "Stained Class" zwei Jugendliche in den Selbstmord getrieben.

Die Anwälte der Eltern beriefen sich auf den Text eines Stückes, das die beiden jungen Männer vor ihrer Tat immer wieder gehört hatten. Dessen Aussage sowie die damit verbundene hypnotisierende Formel "Do it, do it" (Tu es, tu es) animieren angeblich zum Selbstmord. Das Gericht jedoch gab am Ende der Meinungsfreiheit den Vorrang und verneinte eine Verantwortung der Rock-Band für die Selbsttötungen.

Bundesdeutsche Richter hätten nicht anders entschieden - auch nicht, wenn es in den von Glogauer gesammelten Fällen zu vergleichbaren Klagen gekommen wäre. Zwar ist die von der Bundesregierung eingesetzte Gewaltkommission in ihrem vergangenes Jahr vorgelegten Gutachten zu dem Ergebnis gekommen: "Dramatische, besonders spektakuläre Gewaltdarstellung ermutigt, stimuliert und rechtfertigt Gewaltanwendung." Doch vor Gericht zählen nur eindeutig beweisbare Kausalzusammenhänge.

Ob Rambo- oder Zombie-Mord, ob das Vorbild Ninja heißt oder aus einem Brutalo-Western stammt: In jedem bekannten Fall kommen weitere schädliche Einflüsse und Lebenserfahrungen hinzu, die erst aus harmlosen jungen Leuten potentielle Mörder machen.

Daß die Hersteller von Brutalo-Medien juristisch belangt werden können, glaubt denn auch der Pädagoge Glogauer nicht. Der Augsburger Hochschullehrer plädiert vorerst nur für eine verstärkte Aufklärungsarbeit in den Familien und in der Schule. Glogauer: "Die Eltern müssen endlich zur Kenntnis nehmen, was sich ihre Kinder mit diesen Schreckensgeschichten antun."

Glogauer will seinen Teil dazu beitragen. Ein Informationsrundbrief soll regelmäßig in allen Klassenzimmern verteilt werden. Schon jetzt lädt der Pädagoge immer wieder interessierte Kollegen, Studenten und Eltern zur Demonstrationsvorführung harter Horrorfilme ein.

Der Professor selbst kann das blutige Treiben auf der Leinwand nicht mehr ertragen: "Immer wenn es im Saal dunkel wird, mache ich erst mal die Augen zu." o

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Grüezi,

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« Antworten #10 am: 23. Mai 2003, 12:29:06 »

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« Antworten #11 am: 23. Mai 2003, 13:14:03 »

Beim Durchlesen bestätigt sich eigentlich nur meine persönliche Meinung :

- es gibt keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Filmen und Gewalt.

- gestörte Menschen begehen Taten, weil sie gestört sind und Fiktion und Realität nicht auseinanderhalten können.


cheers...Dr.Tongue

 
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« Antworten #12 am: 23. Mai 2003, 23:33:12 »

Aber das Schlimmste ist ja: Das viele mündige Bürger diesen Quatsch glauben, den er verbreitet.[16].

Gruselig!

Gruß Amoebe
 
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« Antworten #13 am: 26. Mai 2003, 09:54:18 »

Zitat
Aber das Schlimmste ist ja: Das viele mündige Bürger diesen Quatsch glauben, den er verbreitet.[16].

Gruselig!

Gruß Amoebe
 

Ich halte dies Bürger für unmündig!!!

Grüezi,

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« Antworten #14 am: 26. Mai 2003, 10:10:47 »

Mein Fehler: ich hätte mündig mit zwei "" schreiben sollen.

Gruß Amoebe
 
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